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27.09.11: Deutscher Ethikrat legt Stellungnahme zu Mensch-Tier-Mischwesen in der Forschung vor - Erweiterung des Embryonenschutzgesetzes empfohlen

Bild StellungnahmeAm 27.09.11 hat der Deutsche Ethikrat seine Stellungnahme zur Bewertung der Herstellung von Mischwesen zwischen Mensch und Tier in der biomedizinischen Forschung veröffentlicht. Darin legt er Empfehlungen zum Umgang mit sogenannten Zybriden, Hirnchimären und transgenen Tieren vor und mahnt eine bisher fehlende Klarstellung dazu im Embryonenschutzgesetz an.

Wie der Rat im Vorwort der knapp 100-seitigen Stellungnahme ausführt, ist die Schaffung von Mäusen als "Modellorganismen" zur Erforschung menschlicher Krankheiten durch Einfügung krankheitsspezifischer humaner Gene in das Mausgenom bereits seit den 1980er-Jahren breit etabliert. Mittlerweile arbeiten die Forscher daran, nicht nur Gene, sondern ganze Chromosomen zu übertragen. Darüber hinaus werden u. a. aus menschlichen Stammzellen gewonnene Nerven-Vorläuferzellen in das Gehirn von Versuchstieren, auch Primaten, übertragen, um Krankheiten wie Alzheimer-Demenz und Morbus Parkinson zu erforschen und später vielleicht behandeln zu können.

Biologische Artgrenze zwischen Mensch und Tier wird zunehmend infrage gestellt

Durch solche Experimente werde die biologische Artgrenze zwischen Mensch und Tier immer mehr infrage gestellt. Der Ethikrat sieht daher Klärungsbedarf, welche ethischen Herausforderungen mit der Herstellung von Mensch-Tier-Mischwesen verbunden und wo gegebenenfalls verbindliche Grenzen zu ziehen sind. Das Gremium hat dabei den Fokus auf die Übertragung menschlichen Materials auf Tiere gelegt und dies an drei Beispielen untersucht: an sogenannten zytoplasmatischen Hybriden (Zybriden), wie sie bei der Einfügung des Kerns einer menschlichen Zelle in eine entkernte tierische Eizelle entstehen, an transgenen Tieren mit menschlichem Erbmaterial und am Beispiel der Übertragung menschlicher Zellen in das Gehirn fetaler oder adulter Tiere, sogenannte Hirnchimären. Zu diesen Beispielen legt der Ethikrat u. a. die folgenden Empfehlungen vor:

Bild Pressekonferenz zur StellungnahmeIn den allgemeinen Empfehlungen bekräftigt der Ethikrat die im Embryonenschutzgesetz unter Paragraph 7 festgelegten Verbote, menschliche Embryonen auf ein Tier zu übertragen oder Interspezies-Chimären und -Hybride unter Verwendung menschlicher Embryonen oder menschlicher und tierischer Gameten zu erzeugen. Diese Grenzziehungen sollten erweitert werden um das Verbot der Übertragung tierischer Embryonen auf den Menschen, das Verbot der Einbringung tierischen Materials in den Erbgang des Menschen und das Verbot von Verfahren, die zur Bildung menschlicher Ei- oder Samenzellen im Tier führen können. Der Ethikrat vertritt einmütig die Auffassung, dass keine Einpflanzung von Mensch-Tier-Zybriden in eine menschliche oder tierische Gebärmutter vorgenommen werden darf. Er empfiehlt, das Embryonenschutzgesetz durch ein entsprechendes explizites Verbot zu ergänzen.

Ein geteiltes Votum geben die Ratsmitglieder jedoch zur Frage der Herstellung von Zybriden ab. Zwölf Mitglieder des Ethikrates vertreten die Auffassung, dass die Herstellung und Nutzung von Zybriden ethisch zulässig sei. Sie verweisen einerseits darauf, dass das Ergebnis ein Artefakt darstelle, das weder als Mensch noch als Tier einzuordnen, keinesfalls aber als menschlicher Embryo zu betrachten sei. Andererseits wird darauf verwiesen, dass auch menschliche Embryonen unter bestimmten Voraussetzungen zu Forschungszwecken verwendet, nach der Auffassung mancher sogar dafür hergestellt werden dürfen. Elf Mitglieder des Ethikrates, nach deren Auffassung die Herstellung und Nutzung von Zybriden ethisch unzulässig ist, weil diese alle Eigenschaften einer menschlichen befruchteten Eizelle aufweisen, fordern die Aufnahme eines gesetzlichen Verbots in das Embryonenschutzgesetz.

Transgene Tiere und Hirnchimären

Zu transgenen Tieren und Hirnchimären gliedert der Ethikrat seine Empfehlungen danach, ob sie sich auf Primaten, auf Menschaffen oder auf andere Säugetiere beziehen. Die in der Forschung häufig angewandte Verbringung von menschlichen Genen in den Erbgang von Säugetieren, ausgenommen Primaten, hält der Ethikrat für ethisch statthaft, wenn "die Hochrangigkeit des Forschungsziels im Hinblick auf ihren zu erwartenden Nutzen für den Menschen gegeben ist" und die generell an den Tierschutz zu stellenden ethischen Anforderungen erfüllt sind.

Demgegenüber sollte die Einfügung menschlichen Erbmaterials in den Erbgang von Primaten "wegen unseres vorläufigen und begrenzten Wissens über mögliche Auswirkungen auf Aussehen, Verhalten und Befähigungen nur nach einem interdisziplinären Begutachtungsverfahren unter Einbeziehung des von der Europäischen Tierversuchsrichtlinie geforderten Nationalen Ausschusses möglich sein. Entsprechende Versuche sollten nur durchgeführt werden, wenn sie alternativlos und im Hinblick auf ihren zu erwartenden medizinischen Nutzen hochrangig sind. Welche Anforderungen an die Hochrangigkeit und Alternativlosigkeit bezogen auf Tierversuche generell zu stellen sind, ist allerdings umstritten", so das Ethikgremium. Die Schaffung von transgenen Mensch-Tier-Mischwesen mit Menschenaffen solle dagegen verboten werden.

Auch die Generierung von Hirnchimären durch die Übertragung von menschlichen Zellen auf Säugetiere und Primaten ist nach Auffassung des Ethikrates ethisch unbedenklich, unter den gleichen bzw. geringfügig ergänzten Voraussetzungen wie in den anderen Fällen. Die Einfügung hirnspezifischer menschlicher Zellen in das Gehirn von Menschenaffen solle ebenfalls verboten werden.

Am Ende der Ausführungen legt das Ratsmitglied Regine Kollek in einem Sondervotum dar, weshalb sie sich der Stellungnahme in der vorliegenden Fassung nicht anschließt. Sie erklärt darin auch, dass sie die Herstellung von Mensch-Tier-Zybriden für ethisch vertretbar hält, weil es gute Gründe für die Annahme gibt, dass es sich bei solchen Entitäten nicht um entwicklungsfähige menschliche Embryonen handelt.
 

Weiterführende Informationen:

Presseartikel zur Ethikratstellungnahme zu Mensch-Tier-Mischwesen in der Forschung

Ethikrat legt Stellungnahme zu Mensch-Tier-Mischwesen in der Forschung vor
Berlin. Der Deutsche Ethikrat hat heute seine Stellungnahme zur Bewertung der Herstellung von Mischwesen zwischen Mensch und Tier in der biomedizinischen Forschung veröffentlicht. Er legt Empfehlungen zum Umgang mit Zybriden, Hirnchimären und transgenen Tieren vor.
PRESSEMITTEILUNG Deutscher Ethikrat 27.09.11

Mensch-Tier-Mischwesen: Ethikrat legt Stellungnahme vor
Berlin – Der Deutsche Ethikrat empfiehlt, die im Embryonenschutzgesetz festgelegten Verbote zu verschärfen, die sich auf die Verwendung von Mensch-Tier-Mischwesen in der Forschung beziehen.
AERZTEBLATT.DE 27.09.11

Mensch-Tier-Mischwesen spaltet Ethikrat
Zentauren für die Forschung: Hybriden aus Mensch und Tier lassen manche Wissenschaftler träumen, unumstritten sind sie allerdings nicht. Jetzt hat ein Fall aus Großbritannien den Deutschen Ethikrat auf den Plan gerufen.
Von Peter Leiner
Ärzte Zeitung, 27.09.11

Ethikrat: Mehr Schutz für Embryonen
TAGESSPIEGEL 27.09.11

Keine Mischwesen in der Forschung
Heute veröffentlicht der Deutsche Ethikrat seine Stellungnahme zum Problem der "Mensch-Tier-Mischwesen (Chimären) in der Forschung". Der Deutsche Tierschutzbund bekräftigt aus diesem Anlass seine Forderung nach einem generellen Tierversuchverbot in diesem Bereich, der sich in den letzten zwanzig Jahren vielfältig ausgeweitet hat.
PRESSEMITTEILUNG Deutscher Tierschutzbund 27.09.11

Wie viel Mensch darf im Tier sein?
Von Frank Patalong
Dürfen Mensch und Tier für den medizinischen Fortschritt vermischt werden? Forscher experimentieren mit Mischwesen, die Politik hinkt der Entwicklung hinterher. Jetzt hat der Deutsche Ethikrat seine Empfehlung zu dem brisanten Thema vorgelegt.
SPIEGEL Online 27.09.11

"Das Embryonen-Schutzgesetz hat eine Regelungslücke"
Prof. Schockenhoff fordert Verbot von embryonalen Mischwesen
DOMRADIO 27.09.11

Bizarre Mischwesen aus der genetischen Hexenküche
Halb Mensch, halb Tier: In den Laboren von Genetikern werden schon heute wundersame Mischwesen erschaffen – alles nur eine Frage der Ethik.
Karl-Heinz Reith
WELT Online 28.09.11

Miere und Tenschen sollen verboten bleiben
Das Austragen von Mischwesen zwischen Tier und Mensch soll nicht erlaubt werden, fordert einhellig der Deutsche Ethikrat. Nicht einig ist sich jedoch das Gremium, ob die Herstellung von Schimären im Reagenzglas auch weiterhin verboten werden soll
Von Wolfgang Löhr
TAZ 28.09.11

Wenn die Grenze zwischen Mensch und Tier verschwimmt
Längst verpflanzen Forscher etwa menschliche Gene für Medikamenten-Tests in Mäuse. Der Deutsche Ethikrat sorgt sich nun um "Mischwesen" und fordert klarere Gesetze.
Von Dagny Lüdemann
ZEIT Online 28.09.11

Der Mensch im Tier
Wissenschaft - was ist erlaubt bei der Forschung an Mischwesen zwischen Mensch und Tier? Der Deutsche Ethikrat fordert jetzt eine Erweiterung des Embryonenschutzgesetzes. Auch sollte nicht mit Menschenaffen experimentiert werden.
Anne Brüning
BERLINER ZEITUNG 28.09.11

"Genau überlegen, ob man so etwas tut"
Interview mit Prof. Jochen Taupitz zur Ethikrat-Stellungnahme
Anne Brüning
BERLINER ZEITUNG 28.09.11

Warnung vor Chimären: Ethikrat will keine Mensch-Tier-Wesen
Das Gremium fordert ein Verbot der Übertragung tierischer Embryonen auf den Menschen. Die "biologische Artgrenze zwischen Mensch und Tier" dürfe nicht infrage gestellt werden.
von Lukas Schürmann, Hamburg und Jessica Boesler, Berlin
FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND 28.09.11

Menschenrechte für Chimären und Kampfroboter?
Kommentar Jürgen Langenbach
Europas Bioethik-Kommissionen lehnen vermenschlichte Affen ab. Bei vermenschlichten Waffen ist die Debatte noch nicht so weit.
DIE PRESSE 29.09.11

Kein Lebensrecht für Mensch-Tier-Wesen
Ethikrat zum Embryonenschutz
von Dr. Jürgen Robienski
LEGALE TRIBUNE Online 12.10.11

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