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11.03.11: Streit über Stammzellenpatent von Oliver Brüstle: EU-Generalanwalt gegen Embryonen-Patentierung
Der Generalanwalt beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg, Yves Bot, hat dafür plädiert, menschliche Embryonen grundsätzlich von der Patentierbarkeit auszunehmen. Dies teilte der Gerichtshof in einer Presseaussendung am 10.03.11 mit. Da das Gericht in den meisten Fällen dem Generalanwalt folgt, zeichnet sich eine Niederlage für den deutschen Stammzellforscher Oliver Brüstle in einem Rechtsstreit mit Greenpeace ab. Darin geht es um ein Grundsatzverfahren beim EuGH.
Brüstle hatte vor einigen Jahren ein Patent auf die Herstellung von Zellen aus menschlichen Embryonen sowie ihre Verwendung zu therapeutischen Zwecken beantragt. Dieses Patent ist zunächst erteilt worden. Ein Gericht gab jedoch dem Einspruch von Greenpeace gegen das Patent statt. Brüstle legte Revision ein und der Fall wurde vom Bundesgerichtshof nach einer Vertagung der Entscheidung wegen Unklarheiten in der EU-Biopatentrichtlinie im November 2009 dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Konkret geht es dabei nun um die Frage, ob der Ausschluss von der Patentierbarkeit des menschlichen Embryos alle Stadien des Lebens von der Befruchtung der Eizelle an umfasst oder ob zusätzliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, z. B., dass ein bestimmtes Entwicklungsstadium erreicht ist.
Definition des Embryos
Der Generalanwalt stellte eingangs zur Frage, wie der menschliche Embryo zu definieren sei, fest, dass dem Begriff des Embryos eine dem Unionsrecht eigene autonome Definition zu geben sei, denn die Richtlinie strebe eine Harmonisierung an, um für einen wirksamen und harmonisierten Schutz biotechnologischer Erfindungen zu sorgen. Dieser Befund werde im Übrigen durch die Entscheidungen bestätigt, in denen der Gerichtshof diese Richtlinie erstmals auszulegen hatte.
Er kommt zu dem Schluss, dass die totipotenten Zellen, die mit der Verschmelzung der Keimzellen entstanden sind und in dieser Form nur in den ersten Tagen der Entwicklung fortbestehen, das Wesensmerkmal haben, dass jede von ihnen die Fähigkeit in sich trägt, sich zu einem vollständigen Menschen zu entwickeln. Da diese Zellen somit das erste Stadium des menschlichen Körpers darstellen, zu dem sie werden, seien sie rechtlich als Embryonen zu bewerten, deren Patentierung ausgeschlossen werden müsse. Unter diese Definition fallen unbefruchtete Eizellen, in die ein Zellkern aus einer ausgereiften Zelle transplantiert worden ist, und unbefruchtete Eizellen, die durch Parthenogenese zur Teilung angeregt worden sind, soweit totipotente Zellen auf diesem Weg gewonnen worden sein sollten.
Als Embryo anzuerkennen sei auch die Blastozyste, d.h. ein späteres Stadium der embryonalen Entwicklung zu einem bestimmten Zeitpunkt, nämlich ungefähr fünf Tage nach der Befruchtung. Der Generalanwalt begründete dies damit, dass die Menschenwürde, auf die die Richtlinie Bezug nimmt, nicht nur für den existierenden Menschen, das geborene Kind, gilt, sondern auch für den menschlichen Körper vom ersten Stadium seiner Entwicklung an, d. h. dem der Befruchtung. Demgegenüber fallen pluripotente embryonale Stammzellen, isoliert betrachtet, nicht unter den Begriff des Embryos, da sie nicht mehr in der Lage sind, sich zu einem vollständigen Lebewesen zu entwickeln. Sie können sich "nur" in verschiedene Organe, Bestandteile des menschlichen Körpers, ausdifferenzieren. Die Erfindung, auf die sich das Brüstle-Patent bezieht, betrifft diese Zellen, da sie dem Embryo im Stadium der Blastozyste entnommen werden.
Herkunft und Art der Gewinnung der Stammzellen entscheidend für Patentierbarkeit
Gleichwohl lasse es sich nicht vermeiden, die Herkunft dieser embryonalen Zellen zu berücksichtigen. Dass sie möglicherweise aus irgendeinem Stadium der Entwicklung des menschlichen Körpers stammen, sei für sich genommen kein Problem, wenn nur ihre Entnahme nicht die Zerstörung dieses menschlichen Körpers in dem Stadium seiner Entwicklung, in dem die Entnahme geschieht, nach sich zieht. Nach Auffassung des Generalanwalts können daher Erfindungen, die sich auf pluripotente Stammzellen beziehen, nur patentierbar sein, wenn sie nicht zulasten eines Embryos gewonnen werden, sei es durch dessen Zerstörung oder durch dessen Schädigung. Eine Erfindung, die embryonale Stammzellen verwendet, industriell anzuwenden, hieße, "menschliche Embryonen als banales Ausgangsmaterial zu benutzen, was gegen die Ethik und die öffentliche Ordnung verstoßen würde".
Der Generalanwalt weist jedoch darauf hin, dass die Patentierbarkeit der Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken nach der Richtlinie nicht verboten ist, wenn sie ausschließlich Erfindungen betrifft, die therapeutische oder diagnostische Zwecke verfolgen und auf den menschlichen Embryo zu dessen Nutzen angewandt werden - z. B. um eine Missbildung zu beheben und die Überlebenschancen des Embryos zu verbessern.
Richtungsweisende Klarstellung
Dr. Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der größten Fraktion im Europäischen Parlament (EVP/Christdemokraten), begrüßte die klaren Worte des Generalanwalts. "Ich bin sehr froh, dass wir nun ein Urteil erwarten können, das menschliche Lebewesen in der Frühform ihrer Entwicklung nicht zum Objekt kommerziellen Handelns macht. Falls Herr Brüstle und seine Anwälte Recht bekommen würden, dann würden menschliche Embryonen, die zum Beispiel im Rahmen einer PID aussortiert werden, zum Gegenstand exklusiver Vermarktungsrechte Einzelner. Dies würde zu einem weiteren Dammbruch beim Schutz des menschlichen Lebens führen", erklärte Dr. Liese, in einer Pressemitteilung.
"Das Plädoyer des Generalanwalts bedeutet einen großen Erfolg für alle, die für Ethik in der modernen Biotechnologie eintreten. Allerdings würde das Europäische Parlament gerne noch eine engere Begrenzung sehen", so Liese. Er hoffe sehr, dass der Gerichtshof sich dieser Position anschließen werde. "Die Entwicklung der letzten 10 Jahre hat gezeigt, dass die Hoffnung, die in embryonale Stammzellen gesetzt wurden, sich bei weitem nicht erfüllt haben; alternative Forschungszweige nützen dem Patienten wesentlich mehr", so der Arzt und Europaabgeordnete. Die Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird für den Sommer oder Herbst erwartet.
Ergänzung vom 29.04.12: In einem Offenen Brief haben sich 13 Stammzellforscher aus aller Welt für einen Patentschutz ausgesprochen. Der Biref wurde am 28.04.2011 im Wissenschaftsmagazin "Nature" veröffentlicht. Mehr dazu im Themenspecial: Europäische Stammzellforscher fordern Patentschutz.
Zugehörige Dokumente:
- Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot vom 10. März 2011
Rechtssache C-34/10 Oliver Brüstle gegen Greenpeace e. V.
- Nach Ansicht von Generalanwalt Yves Bot sind Zellen, die die Fähigkeit in sich tragen, sich zu einem vollständigen Menschen zu entwickeln (totipotente Zellen) rechtlich als menschliche Embryonen zu bewerten und müssen daher von der Patentierung ausgeschlossen werden
Ein Verfahren, das andere embryonale Stammzellen (sogenannte pluripotente Zellen) verwendet, darf ebenfalls nicht patentiert werden, wenn es die vorherige Zerstörung oder Schädigung des Embryos erfordert
PRESSEMITTEILUNG Nr. 18/11 Gerichtshof der Europäischen Union, 10.03.11
- 13.01.11: Anstehende Grundsatzentscheidung beim Europäischen Gerichtshof: Europaabgeordnete gegen Patentierung embryonaler Stammzellen
Europaabgeordnete verschiedener Fraktionen und Nationen haben sich erneut gegen die Patentierung embryonaler Stammzellen ausgesprochen. Auf einer Pressekonferenz am 11.01.11 in Brüssel betonten Dr. Peter Liese (EVP-Deutschland), Eva Lichtenberger (Grüne-Österreich), Vittorio Prodi (S&D-Italien), Carlo Casini (EVP-Italien) und Miroslav Mikolasik (EVP-Slowakei), dass es völlig inakzeptabel sei, Technologien, die auf der Zerstörung von menschlichen Leben basieren, zu patentieren.
Hintergrund der Forderungen ist ein Grundsatzverfahren beim Europäischen Gerichtshof (EuGH). Der deutsche Stammzellforscher Oliver Brüstle hatte vor einigen Jahren ein Patent auf die Herstellung von Zellen aus menschlichen Embryonen, sowie ihre Verwendung zu therapeutischen Zwecken, beantragt.
Presseartikel zu den Schlussanträgen des EU-Generalanwalts im Stammzellenpatentstreit
In den Medien wurde das Schlussplädoyer des EU-Generalanwalts zum Stammzellen-Patent kaum erwähnt. Dies dürfte auch mit der schwierig zu vermittelnden Materie zusammenhängen, die in dem Plädoyer dargelegt wird.
Etappensieg für Greenpeace gegen Stammzellenforscher
Generalanwalt beim EuGH betrachtet embryonale Stammzellen als Embryo mit menschlicher Würde.
Von Martin Wortmann
Ärzte Zeitung 13.03.11
Patente auf Embryonen, PID und das europäische Recht
Von Oliver Tolmein
FAZ.NET Blog Biopolitik 11.03.11
Dämpfer für Stammzellforscher
Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof lehnt Patentierung von Forschung ab, in deren Vorfeld Embryonen vernichtet wurden.
TAZ 11.03.11
EU-Generalanwalt gegen Patentierung von embryonalen Stammzellen
Brüssel/Luxemburg - Der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, Yves Bot, spricht sich dafür aus, menschliche Embryonen grundsätzlich von der Patentierbarkeit auszunehmen.
AERZTEBLATT.DE 10.03.11
EU – Generalanwalt gegen Patentierung von Embryonen / Niederlage für Brüstle zeichnet sich ab
Menschliche Lebewesen in der Frühphase ihrer Entwicklung dürfen nicht Objekt kommerziellen Handelns sein
PRESSEMITTEILUNG Dr. Peter Liese, MdEP EVP-ED 10.03.11
Nach Ansicht von Generalanwalt Yves Bot sind Zellen, die die Fähigkeit in sich tragen, sich zu einem vollständigen Menschen zu entwickeln (totipotente Zellen) rechtlich als menschliche Embryonen zu bewerten und müssen daher von der Patentierung ausgeschlossen werden
Ein Verfahren, das andere embryonale Stammzellen (sogenannte pluripotente Zellen) verwendet, darf ebenfalls nicht patentiert werden, wenn es die vorherige Zerstörung oder Schädigung des Embryos erfordert
PRESSEMITTEILUNG Nr. 18/11 Gerichtshof der Europäischen Union, 10.03.11 (PDF-Format)
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